Buchtipp: Lauter Lautaer Geschichten (Michael Peter Schadow)

101 Jahre Lauta: ein Ort und seine Jubiläen

  

Wenn man die Geschichte nicht kennt,

bleibt man auf immer ein Kind,

das nie erwachsen wird!

 

Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), römischer Redner und Staatsmann

 

Noch immer ist die Zahl jüngerer Publikationen und Initiativen zur Geschichte Lautas äußerst dürftig und vieles liegt bislang im Dunkel der Geschichte verborgen. Die breite historische Aufarbeitung steht also noch am Anfang.

So hat es zwar in der Vergangenheit an historischen Jubiläen in unserem Ort nicht gefehlt, deren öffentlichkeitswirksame Begleitung zumeist auf Initiativen von einzelnen Personen bzw. Arbeitsgruppen zurückzuführen war: Etwa als von 18. – 20. September 1948 die 500-Jahrfeier des Dorfes Lauta stattfand. Damals ging man noch davon aus, dass Lauta erstmals 1446 urkundlich erwähnt wurde, und zwar in einer Verpfändungsurkunde des Herren Hans von Polenz. Auch unter den schwierigen Nachkriegsbedingungen und mit zeitlicher Verzögerung nahm man sich die Zeit, dieses Jubiläum zu begehen, wobei auch eine kleine Festschrift entstand. Ebenso spielte die unmittelbare Vergangenheit um das ab 1917 entstandene Lautawerk dabei eine nicht geringe Rolle. Es zeigt sich anhand der Festschrift deutlich, wie eng das ursprüngliche Dorf Lauta mit der heranwachsenden Industriesiedlung Lautawerk verknüpft ist – und das betrifft nicht nur den Namen, sondern vor allem auch jene politische Einheit, die heute Realität ist.

Im Jahr 1999 erfolgte indes die offizielle 625-Jahrfeier, denn inzwischen hatte man in einem Zinsregister des Klosters Sankt Marienstern zu Panschwitz-Kukau eine frühere Ersterwähnung des Dorfes Lauta ausgemacht, die auf das Jahr 1374 zurückgeht. Besonders hervorzuheben ist dabei das Wirken des inzwischen verstorbenen Historikers Waldemar Waade, einem ehemaligen Bürger der Stadt Lauta. Waade hat nicht nur ein Konvolut an Manuskripten zur Geschichte Lautas hinterlassen, sondern er regte bereits damals eine weiterführende geschichtliche Aufarbeitung an.

Da Lauta seit dem Jahr 1965 offiziell als „Stadt“ gilt, erlebte die Stadt 2015 ein weiteres Jubiläum: die Verleihung des Stadtrechts vor 50 Jahren. Dazu fertigte Kathleen Häußer-Beciri, damals im Dienst der Stadtverwaltung stehend, eine mehrteilige historische Ausstellung an. Die sorgfältig erarbeitete und auf einer breiten Quellenbasis stehende Schau deckte ein breites Themenspektrum ab. Sie wurde im »Lautech«-Gebäude gezeigt und lagert seither in den Archiven der Stadtverwaltung.

In der Gegenwart angekommen, müssen wir feststellen, dass ein weiteres Jubiläum vorüber ging, ohne das davon gebührend Notiz genommen wurde. Ich meine den Beginn des Baugeschehens zum Aluminiumwerk im März 1917 und die damit verbundene Errichtung der Siedlung Lautawerk.

Das Titelbild des neuen Buches von Dr. Gabriele Schluttig.

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Lautas Stadtzentrum (Gastbeitrag von Dr. Volker Punzel)

Wer in Lauta nach dem Zentrum fragt, wird vermutlich Ratlosigkeit erzeugen. Denn ein Zentrum gibt es in der Stadt nicht, sondern sie hat mehrere. Aber keines davon ließe sich als das Stadtzentrum bezeichnen. Die Gründe dafür liegen in der Geschichte. Und die Gegenwart leistete dazu ihren Beitrag.

Das Zentrum eines kommunalen Gebildes, ob Dorf, Gemeinde oder Stadt, besteht zumeist aus einem zentralen Platz, an dem sich die Verwaltung, die Kirche, eine Gastwirtschaft und für die Versorgung der Bevölkerung benötigte Verkaufseinrichtungen befinden. Das Zentrum ist der städtebauliche Bezugspunkt, von dem aus sich das kommunale Gebilde in die Breite entwickelt.

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„Ein Betsaal stand uns zu, aber eine Kirche sollte es werden“ – Über die Anfänge der Kirchengemeinde Lautawerk (Michael Peter Schadow)

Hier ein Artikel von Pfarrer Fritz Müller (1889-1942) aus einer alten Kirchenzeitung. Der Artikel ist wahrscheinlich gegen Ende der 1920er Jahre entstanden. Es geht um den Aufbau der Gemeinde Lautawerk, um die schwierige soziale Lage in Stadt und Kirchengemeinde und natürlich um den Aufbau der evangelischen Stadtkirche. Aber lesen Sie selbst:


Ein Neubruch

Von Pastor Müller – Lautawerk 

Evangelium und soziale Frage, Marxismus und Christentum, Industriebevölkerung und Kirche – die Auseinandersetzungen über diese Dinge beherrschen Tagungen wie kirchliche Presse. Daß wir den Mut zur Oeffentlichkeit haben, ist hocherfreulich. Aber die Hauptsache bleibt es, daß in den einzelnen Gemeinden zur Tat wird, was wir beraten und beschließen. Da stehen, die zu Führern berufen sind, vor der schwersten Aufgabe. Man könnte darüber verzweifeln, wenn nicht zuweilen Gott selbst den Beweis lieferte, daß auch auf diesem schwierigen Boden ein Neubruch möglich ist. Hier ein Beispiel. (…)

Pfarrer Fritz Müller (Foto; Archiv Pfarramt Lauta-Dorf)

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Vergessene Grabstätten: Gerhard Pilz (Dr. Gabriele Schluttig)

Grabstein von Gerhard Pilz auf deme Friedhof in Lauta-Stadt

Es lebt heute keine Familie Pilz mehr in Lauta. Aber es gibt auf dem Friedhof eine Grabstätte mit einem Grabstein, der an Gerhard Pilz erinnern soll. Wer war Gerhard Pilz und warum ist es wichtig, durch einen Grabstein auch heute noch daran erinnert zu werden, wie kurz ein Leben sein kann?

Dieser Grabstein hat, obwohl er in Form des Wehrmachtskreuzes geschaffen wurde und einem Offizier der Wehrmacht gewidmet ist, die Zeit der DDR überdauert. Auch seine normale Liegezeit ist weit überschritten.

Grabstein von Gerhard Pilz auf dem Friedhof in Lauta-Stadt (2)

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Die DDR in der Retrospektive: Erinnerungen eines ehemaligen Lautawerker Pfarrers (Michael Peter Schadow)

Es ist wieder einmal Parteitag in der DDR, irgendwann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Auf der Klement-Gottwald-Allee in Berlin-Weißensee, auch »Protokollstrecke« genannt, rollen schwere Volvo-Fahrzeuge auf dem Weg von Wandlitz nach Berlin. Die Bewohner der Protokollstrecke kennen diesen Anblick nur zu gut: Am Rande der Straße patrouillieren Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und die Fassaden der Häuser sind frisch gestrichen – allerdings nur bis zur ersten Etage. Denn bis dahin reicht der Blick der SED-Funktionäre und ausländischen Staatsgäste, die in ihren Volvos vorbeirollen. Selbst das in der DDR übliche Schlange-Stehen vor den Geschäften ist bei derartigem Verkehrsgeschehen verboten.

            Unweit der Protokollstrecke befindet sich die Stephanus-Stiftung, eine diakonische Einrichtung der evangelischen Kirche, die sich um alte, kranke und behinderte Menschen kümmert. Seit 1979 ist Pastor Werner Braune (geb. 1936) Leiter dieser Einrichtung. Braune ist damit bis auf den heutigen Tag ein prominenter Kirchenmann. Was allerdings nur Wenige wissen: Von 1963 bis 1970 war Werner Braune Pfarrer in Lautawerk. Über sein Leben und seine Erfahrungen in der DDR hat er, inzwischen im Ruhestand, ein 2009 im Wichern-Verlag (Berlin) erschienenes Buch geschrieben. Es trägt den bezeichnenden Titel »Abseits der Protokollstrecke«.

Das Buch besitzt zwei Ebenen. Während die erste Ebene an der Biografie Werner Braunes orientiert ist, geht die zweite Ebene in die historische Tiefe: Hier geht es um das Verhältnis von SED-Staat und evangelischer Kirche bzw. Diakonie und nicht zuletzt um die Frage nach dem Charakter des selbsternannten »Arbeiter- und Bauernstaates«.

Plakat zur Lesung von Werner Braune am 8. April 2017

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Die Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord – Teil 2 (Kathleen Häußer-Beciri)

Im ersten Teil meines Artikels ging es bereits um die Entstehung und die Hintergründe der Gartenstadtbewegung. Weiterhin stellte ich die Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord vor und es wurden die gestalterischen und baulichen Besonderheiten dieser Siedlung angesprochen. Hierbei ging es besonders um die Architektur der Wohngebäude. Natürlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es in Lauta-Nord neben den Wohngebäuden auch mehrere öffentliche Gebäude und Geschäftshäuser gibt bzw. gab.

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Historisches Fundstück: Predigt zur Einweihung der evangelischen Kirche Lautawerk, gelesen am vierten Advent 1924

Am vierten Advent 1924 wurde die evangelische Kirche in Lautawerk geweiht. Pfarrer Friedrich Müller (1889-1942) hielt zu diesem Anlass seine erste Predigt im neuen Gotteshaus.
Da dem Kirchenarchiv Lauta-Dorf nur eine (aus papiertechnischen Gründen) nicht leicht zu lesende Kopie vorliegt, diese Predigt aber wichtig ist, nicht nur als Einweihungspredigt, sondern aufgrund ihrer Aussagen, wurde sie für diesen Beitrag übertragen.

»Soll so unsere Kirche der Ort sein, da Gottes Ehre wohnt, dann wird sie unsere Gemeinde nicht nur räumlich in ihren Mauern vereinigen, sondern ihr ein Wahrzeichen innerster Zusammengehörigkeit werden.«

Das da von Anfang war,
das wir gehöret haben,
das wir gesehen haben mit unseren Augen,
das wir beschauet haben
und unsere Hände betastet haben
vom Wort des Lebens.
und das Leben ist erschienen
und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen
euch das Leben,
welches war bei dem Vater,
und ist uns erschienen:
Was wir gesehen und gehöret haben,
das verkündigen wir euch,
auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habt;
und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater
und mit seinem Sohn Jesu Christo.
Und solches schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei!
(1.Joh. 1-4)

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Fritz Müller – erster Pfarrer der evangelischen Kirche in Lauta (Dr. Gabriele Schluttig)

Das Jahr 1917. In diesem Jahr begann die VAW (Vereinigte Aluminiumwerke AG) mit dem Aufbau eines Aluminium- und Kraftwerkes an einem Standort in der Lausitz, der den Namen „Lautawerk“ erhielt. Hier, mitten im Wald, sollte das größte europäische Aluminiumwerk entstehen, das, kriegsbedingt, die gesamte Herstellung vom Rohstoff Bauxit bis zum Reinmetall Aluminium als Ersatz für Kupfer leisten sollte.
Dazu wurden deutschlandweit Arbeitskräfte angeworben und neben dem Bau der Werksanlagen wurde es erforderlich, Unterbringungsmöglichkeiten für die Angestellten und Arbeiter zu schaffen. Dies bedeutete jedoch auch, den Bewohnern hinsichtlich ihrer Versorgung, ihrer schulischen und auch konfessionellen Bedürfnisse entgegenzukommen.

Am 21.5.1919 wurde Friedrich Müller als evangelischer Hilfsprediger nach Lautawerk entsandt.

Hermann Friedrich Wilhelm Müller wurde am 11.3.1889 in Berlin geboren. Bereits als Kind, nach einer lebensgefährlichen Erkrankung, fasste er den Entschluss, Pfarrer zu werden. Sein Studium der Evangelischen Theologie wurde durch den 1. Weltkrieg, an dem er als Heeressoldat teilnehmen musste, unterbrochen. Er schloss sein Predigerseminar in Naumburg am Queis (Ortschaft im heutigen Polen) ab und trat seine erste Pfarrstelle in Lautawerk an.

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Was erwartete ihn hier?

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Fragmente eines Lebens: die autobiografischen Erinnerungsbücher des Uwe Mahrholz – Teil 1 (Michael Peter Schadow)

Ein Mann springt auf einen fahrenden Güterzug. Behutsam hat er sich zuvor angenähert, denn der stählerne Koloss schiebt sich nur an ganz bestimmten Stellen langsam genug dafür durch die graue Landschaft. Außerdem sind da noch die Wächter, die Transportpolizisten, welche mit geladenen Waffen zur Sicherung der wertvollen Ladung postiert sind.
Als der Familienvater nach einem beherzten Sprung auf einer schmalen Plattform des Zuges steht, öffnet er vorsichtig die Ladeluke eines Waggons. Sofort rieselt und kullert es auf die Gleise – das schwarze Gold: frisch gepresste Kohlebriketts, direkt aus der Fabrik. Gekonnt verlässt der flinke Gast den Güterzug mit einem Sprung auf den Bahndamm. Nun kann es beginnen, das Kohlelesen.

Buchcover Uwe Mahrholz: Ich bin da! (Foto: M. P. Schadow, mit freundlicher Genehmigung von U. Mahrholz)
Buchcover Uwe Mahrholz: Ich bin da! (Foto: M. P. Schadow, mit freundlicher Genehmigung von U. Mahrholz)

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Die Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord – Teil 1 (Kathleen Häußer-Beciri)

Was ist eine Gartenstadt? – Der Ursprung der Gartenstadtbewegung

Die Gartenstadt ist ursprünglich ein von dem Briten Ebenezer Howard (1850-1928) im Jahr 1898 in England entworfenes Modell einer planmäßigen Stadtentwicklung als Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse sowie die horrend steigenden Bodenpreise in den stark gewachsenen Großstädten. Umgangssprachlich wird der Begriff „Gartenstadt“ jedoch oftmals für besonders begrünte Städte verwendet, was aber nicht dem eigentlichen Fachbegriff entspricht.

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