Historisches Fundstück: Predigt zur Einweihung der evangelischen Kirche Lautawerk, gelesen am vierten Advent 1924

Am vierten Advent 1924 wurde die evangelische Kirche in Lautawerk geweiht. Pfarrer Friedrich Müller (1889-1942) hielt zu diesem Anlass seine erste Predigt im neuen Gotteshaus.
Da dem Kirchenarchiv Lauta-Dorf nur eine (aus papiertechnischen Gründen) nicht leicht zu lesende Kopie vorliegt, diese Predigt aber wichtig ist, nicht nur als Einweihungspredigt, sondern aufgrund ihrer Aussagen, wurde sie für diesen Beitrag übertragen.

»Soll so unsere Kirche der Ort sein, da Gottes Ehre wohnt, dann wird sie unsere Gemeinde nicht nur räumlich in ihren Mauern vereinigen, sondern ihr ein Wahrzeichen innerster Zusammengehörigkeit werden.«

Das da von Anfang war,
das wir gehöret haben,
das wir gesehen haben mit unseren Augen,
das wir beschauet haben
und unsere Hände betastet haben
vom Wort des Lebens.
und das Leben ist erschienen
und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen
euch das Leben,
welches war bei dem Vater,
und ist uns erschienen:
Was wir gesehen und gehöret haben,
das verkündigen wir euch,
auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habt;
und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater
und mit seinem Sohn Jesu Christo.
Und solches schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei!
(1.Joh. 1-4)

»Nun lob ich, mein Seel, den Herren, was in mir ist, den Namen sein! Mit dankerfülltem Herzen dürfen wir den ersten Gottesdienst in unserer soeben geweihten Kirche feiern. Er kann nur auf den einen Ton gestimmt sein: Nicht uns, Herr, sondern deinem Namen gib Ehre und Gnade und Wahrheit!
Als Gotteshaus soll dieser Bau fortan unserer Gemeinde dienen. Lasst uns seine Bestimmung aus dem Johanniswort erkennen, das die neue Epistel unseres vierten Adventsonntages ist. In unserer Kirche soll Gottes Wort lauter und rein verkündet werden, dass die Gemeinde sich fest darum zusammen schliesse, und dass jeder von uns darin das Eine, was not ist, finde.
Gottes Wort soll hier seine heilige Stätte haben. Dann kann die Predigt, die hier, so Gott will, durch die Jahrhunderte erschallen soll, nur einen unverrückbaren Grund haben: Jesum Christum, den Gekreuzigten, unseren Herrn und Heiland. Wer aber je zu dem heiligen Amte der Wortverkündigung berufen ist, dem steht in dem Jünger Johannes, den Jesus lieb hatte, und der in meinem Briefe heute zu uns redet, ein unvergleichliches Vorbild vor Augen. In sein Herz hatte die ganze Fülle der Heilandsherrlichkeit sich ergossen. Wenn wir in dem Weihnachtsliede singen:

Das ewge Licht geht da herein,
Gibt der Welt einen neuen Schein,
Es leuchtet wohl mitten in der Nacht
Und uns des Lichtes Kinder macht.

So stehen wir angesichts der lauteren, liebeerfüllten Persönlichkeit dieses Mannes unter dem Eindruck: Hier ist ein Mensch so tief durchglüht, so innig durchstrahlt, dass er wie kaum ein zweiter zu den grossen Lichtträgern der Menschheit gehört. Nichts Eigenes will er weitergeben. In ihm scheint sich vollendet zu haben, was der Täufer Johannes im Hinblick auf den Heiland in die Worte gekleidet hat: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen!
Der Jünger kennt die Zeit, in der er noch fern von Jesus war. Das war seine fröhliche Kindheit voller Sturm und Drang. Aber sie ist wie aus seinem Gedächtnis gelöscht durch das eine grosse Erleben Jesu Christi. Was wir gesehen haben mit unseren Augen, das wir beschaut haben und unsere Hände betastet haben: der das spricht, der hat sich ganz zu eigen gemacht, was der Herr verheisst: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr sehet! Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und haben es nicht gesehen, und hören, was ihr höret, und haben es nicht gehört.
Nun mag ein nimmer müdes Suchen Gottes, ein unabweisbares Sehnen nach Wahrheit, ein stets aufs Neue aufpeitschendes Streben nach sittlicher Reinheit die Welt durch die Jahrtausende erfüllen, das ist alles doch nur wie ein leichtes Aufleuchten der Morgenröte am dunklen Nachthimmel. Wo Jesus nicht ist, herrscht dennoch die Finsternis vor. Er allein ist der volle Tag: Wo Jesus nicht ist, weht der Odem der Vergänglichkeit. Er ist das Leben: Nach Gottes Ratschluss von Ewigkeit her ist er es. Dass er auf diese arme Erde kam, ist die Vollendung des Lebenswillens unseres Vaters im Himmel. Nun kann Johannes jubeln:
Das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater und ist uns erschienen. Und nun ist keine Verkündigung des Wortes möglich, die zugleich Zeugnis wäre:

Jesus nimmt die Sünder an,
Mich auch hat er angenommen!

Wenn wir als Menschen voller Schuld und Fehl auch oft nur sprechen können: Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben, so ist das doch immer wieder die selige Erfahrung, wie er unserer Schwachheit aufhilft. Des Königs Fahnen dringen siegreich vor!
Dann aber darf auch alle Verkündigung kein anderes Ziel kennen als nur ihn allein. Wir meinen so leicht, wir müssten Gottes Wort den Menschen von heute schmackhafter machen durch allerlei Fündlein eigener Weisheit. Er aber bringt es uns immer wieder zum Bewusstsein, dass nicht wir unsere Arbeit auf Wirkung hin einstellen sollen, sondern dass er selbst es ist, der da Frucht schafft, auch da, wo wir sie oft am wenigsten suchen, so wir nur treu sind, nichts als wenige Sendboten, die, von der Wahrheit des Evangeliums erfüllt, sie allein weitertragen wollen. Paulus hat von sich bekannt: Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch ohne allein Christus, den Gekreuzigten. Johannes aber stimmt mit ihm überein und gibt uns den einzigen Inhalt aller Predigt des Wortes auch in diesem neuen Gotteshaus an: Was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch: Jesus Christus, unser tiefstes inneres Erleben, und ihm allein.
Soll so unsere Kirche der Ort sein, da Gottes Ehre wohnt, dann wird sie unsere Gemeinde nicht nur räumlich in ihren Mauern vereinen, sondern ihr ein Wahrzeichen innerster Zusammengehörigkeit werden. Unendlich zerrissen ist unsere Gegenwart. Hass hat seinen Raum unter den Völkern der Erde. Das deutsche Volk kann zu wahrer Volksgemeinschaft trotz aller Mühen der Politiker nicht kommen. Die soziale Lage verschärft sich immer mehr mit der zunehmenden Not. Wenn man von hoher Warte die Menschheit von heute betrachtet, dann trifft auf sie mehr denn je das Herrenwort zu, dass sie wie Schafe seien, die keinen Hirten haben. Ein jeder sieht auf seinen Weg. Der Geist der Selbstsucht ist zersetzend bis in die Familien eingedrungen. Man geht nebeneinander her, statt Hand in Hand. Wo aber findet sich der Weg zu wahrer Gemeinschaft?
Johannes will ihn uns weisen. Im Glauben allein ist er zu finden. Aus dem tiefen Born der seelsorgerischen Erfahrung ist ihm die Erkenntnis geworden, dass die Verkündigung des Evangeliums gemeinschaftsbildend ist. Das ist die tiefste Weihe unserer Gottesdienste, wenn, der da predigt, unter dem Eindruck stehen darf, wie zwischen ihm und der Gemeinde es wie ein festes Band sich schliesst, als schlügen alle Herzen denselben Schlag. Wir kennen die bezaubernde Wirkung edler Musik, die unseren Feierstunden oft köstlichen Gleichklang schenkt. Aber Höheres suchen und finden wir doch in manchem Gottesdienste, wo nicht die blendende Fülle der Gedanken, nicht die Macht der formvollendeten Rede das gleiche nur erreichen will, sondern alle Herzen eingehen in die grosse Feiertagsstille: Gott ist in der Mitten, alles in uns schweige! Das ist uns mehr als verschwommene Mystik, die mit frommen Stimmungen sich begnügt, die bald verrauschen. Da nimmt der Wille die gleiche Richtung nach oben an. Es fliesset uns Kraft aus der Höhe zu. Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohne Jesus Christus.
Je mehr sich das verwirklicht, desto näher kommen wir dem Ideal, wieder ein Gottesvolk zu werden. Die ersten Christen waren im Innersten so eins, dass ihr Zusammenleben den Heiden ein rätselvolles, schier unerreichbares Vorbild schien: Wie haben sie einander doch so lieb! So kann auch bei uns der Weg zu wahrer Gemeinschaft nur von innen nach aussen gehen. Je inniger wir mit Gott verbunden sind, desto fester schliesst sich das Band zwischen uns und denen, die in gleichem Erleben stehen. Wirf einen Stein in den spiegelglatten See, dann geht von ihm Welle um Welle aus. Sie ziehen ihre Kreise bis hin zum fernen Strand. So soll es sein mit unserem Gotteshause, dass durch die Macht des Wortes Gottes Seelen ganz ihrem Herrn sich ergeben, dass um Gott geheiligte Menschen christliche Familien sich scharen. Dann wird unsere Gemeinde über alle sozialen Unterschiede, die aufzuheben in keines Menschen Macht steht, über alle Parteien, die zu verneinen Menschenmöglichkeit übersteigt, hinweg auch äusserlich sich finden., weil wir uns innerlich gefunden haben. Der Weg zur Gesundung unseres zerrissenen Volkes geht über das Kreuz von Golgatha. Darum muss in diesem unserem Gotteshause immer wieder die Botschaft erschallen: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grunde der Apostel und Propheten, da Jesus Christus Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn, auf welchem auch ihr mit erbauet werdet zu einer Behausung Gottes im Geist.
Dann aber finden wir auch in unseren Gottesdiensten, die wir in diesem Hause feiern wollen, was unser Herz begehrt. Johannes schliesst es in die Worte ein: Solches schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei.
Es gibt auf Erden kein vollkommenes Glück. Das hatten schon die Alten erkannt, die vor dem Neide der Götter bangten. Aber in Jesus Christus ist uns das Evangelium offenbart worden, die frohe Botschaft, die zur völligen Freude führt.
Fürchtet euch nicht, erklang bei seiner Geburt auf den Gefilden von Bethlehem des Engels Wort. Aus all dem Wust des Unglaubens und des Aberglaubens, der die Geschlechter der Menschen gefangen hält, der gerade in unseren Zeiten wieder so erschreckend zu Tage tritt, führt der Heiland zur Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit.
Friede sei mit euch, ergeht der Ostergruss des Auferstandenen. Nun ist all unsere Schuld durch das Blut des Lammes gesühnt. Wir dürfen bittende Hände erheben zu unserem Vater im Himmel. Die Gnadengegenwart des Herrn dürfen wir verspüren und wie einst ein Thomas ihm zu Füssen sinken. Mein Herr und mein Gott: Aus dem Staube erhebt er uns. Seine Kraft nehmen wir in unser Leben auf. Dann mögen Not und Tod uns bedrohen, wir leben und sterben in der Gewissheit:

Was nun auch kann erdenken,
Es sei klein oder gross,
Der keines soll mich lenken
Aus deinem Arm und Schoss.

Das ist völlige Freude, zu der wir eingehen sollen. Sie ist ganz gebunden an den, dessen Geburt wir nun wieder zu Weihnachten feiern wollen. Dann wird von neuem der Dreiklang die Herzen erfüllen, der in allen unseren Gottesdiensten hier in der neuen Kirche machtvoll klingen soll:

Ehre sei Gott in der Höhe
Und Friede auf Erden
Und dem Menschen ein Wohlgefallen!

Amen !«

Bearbeitet von Dr. Gabriele Schluttig

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