Die Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord – Teil 1 (Kathleen Häußer-Beciri)

Was ist eine Gartenstadt? – Der Ursprung der Gartenstadtbewegung

Die Gartenstadt ist ursprünglich ein von dem Briten Ebenezer Howard (1850-1928) im Jahr 1898 in England entworfenes Modell einer planmäßigen Stadtentwicklung als Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse sowie die horrend steigenden Bodenpreise in den stark gewachsenen Großstädten. Umgangssprachlich wird der Begriff „Gartenstadt“ jedoch oftmals für besonders begrünte Städte verwendet, was aber nicht dem eigentlichen Fachbegriff entspricht.

Ein von Howard verfasstes Buch mit dem Titel „Gardencities of tomorrow“ bewirkte um 1900 die Entstehung der Gartenstadtbewegung, die zunächst die Gründung derartiger Gartenstädte zum Ziel hatte. Mit der Idee der Gartenstädte waren gleichzeitig auch sozialreformerische Ideen verbunden. Der Boden sollte beispielsweise genossenschaftlicher Gemeinbesitz bleiben und nur in Erbpacht verliehen werden. Auch die Mitbestimmung der Bewohner sowie ein lebenslanges Mietrecht waren vorgesehen.

Die Gartenstädte sollten auf bisherigem Agrarland im Umland von Großstädten neu gegründet werden. Nach dem Konzept von Howard (1902) bestehen sie aus 7 eigenständigen Teilen, d.h. mittelgroßen Städten. Sechs Wohnstädte sind ringförmig um eine Kernstadt angeordnet und mit ihr sternförmig durch Straßen und Eisenbahnlinien vernetzt. Die sechs Wohnstädte sind untereinander ringförmig verbunden. Die Teilstädte der Gartenstadt-Anlage sind durch breite Agrargürtel voneinander getrennt. Die Idee hinter diesem Konzept war eine Aufhebung der strikten Trennung von Stadt und Land. Man wollte an den Vorteilen der Großstadt, wie etwa leicht erreichbare Kultureinrichtungen, festhalten und gleichzeitig deren Nachteile vermeiden.

Ein weiterer Aspekt ist die vorgesehene Nutzungstrennung. Im Zentrum befindet sich ein gartenähnlich gestalteter Platz, um den die öffentlichen Gebäude angeordnet sind. Diese öffentlichen Gebäude werden von einem ersten Parkring umschlossen, es schließt sich ein etwa 600 m tiefer Ring mit Wohngebäuden an. Die industriellen und gewerblichen Arbeitsplätze liegen außerhalb des Wohnrings.

Auch in Deutschland fand die Gartenstadt-Idee – also ein Leben im Grünen in Siedlungen mit Gärten zur Selbstversorgung, mit Parks und kleiner Industrie – um die Jahrhundertwende starken Anklang. Echte Gartenstädte sind im deutschsprachigen Raum jedoch nicht gegründet worden. Dabei nimmt nur Hellerau (seit 1950 zu Dresden gehörend) eine Ausnahmestellung ein. Hier waren in der Zeit der Gründung außer der formalen Selbstständigkeit alle Kriterien einer echten Gartenstadt erfüllt. Howard besuchte Hellerau im Jahre 1912 und erklärte beeindruckt: „Hellerau ist keine bloße Nachahmung der englischen Gartenstädte (…). In Hellerau tritt deutlich das Bemühen hervor, den Menschen Heime in der Nähe ihrer Arbeitsstätten zu bauen und Arbeit in die Nähe ihrer Heimstätten zu bringen. Ich bekenne, dass mir in Hellerau sowohl die innere Einrichtung der Häuser als auch ihre Gruppierung sehr gefallen haben (…).“

Eine sehenswerte Anlage mit Gartenstadtcharakter in der näheren Umgebung ist die Gartenstadt Marga im Senftenberger Ortsteil Brieske. Sie wurde zwischen 1907 und 1915 als Arbeiterkolonie der Ilse-Bergbau-AG nach den Plänen des Architekten Georg H. von Mayenburg erbaut. Ebenfalls im Auftrag der Ilse-Bergbau-AG wurde in Laubusch die Errichtung der Gartenstadt Erika für die Belegschaft der Brikettfabrik geplant. Die ersten Erschließungsarbeiten begannen 1914, sie wurden allerdings durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Größtenteils entstand  die Gartenstadt Erika in den Jahren von 1918 bis 1923 nach den Plänen des Architekten Ewald Kleffel (1878 – 1952).

 

 Die Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord

Im Folgenden sollen die Besonderheiten der hiesigen Gartenstadtsiedlung Lauta Nord näher betrachtet werden. Durchquert man die Stadt auf der Bundesstraße in Richtung Hoyerswerda, so fallen dem Betrachter sogleich die architektonisch ansprechenden und von 1999-2001 schön sanierten Gebäude auf. Insofern ist es nicht übertrieben zu sagen, dass die Siedlung Lauta Nord einen prägenden Charakter für die Stadt Lauta besitzt.

Der Beginn der Ansiedlung im Zuge der Errichtung des Lautawerkes begann zuerst in Lauta-Süd. Da die Barackenstadt im Süden des Werksgeländes nur ein Provisorium darstellte, begann man von Seiten der VAW (Vereinigte Aluminium-Werke) bereits 1917 mit der Planung massiver Wohnhäuser für die Belegschaft nördlich des Werkes. Hierfür wurden die Architekten Stefan und Clemens Simon beauftragt. Lauta Nord ist mit einer Fläche von 35 ha die wohl größte geschlossene Gartenstadtsiedlung im Senftenberger Braunkohlenrevier.

Bis Anfang der 1920er Jahre folgten größere Siedlungsplanungen oftmals dem Gartenstadtideal, so auch Lauta Nord. Die planmäßig gestaltete Siedlung mit naturnahem Wohnen wurde den unmenschlich-wuchernden Mietskasernen entgegengestellt. Der Wunsch nach gesundem Wohnen schlägt sich in der engen Verbindung der Architektur mit Grünanlagen nieder.  Das hiesige Baugelände war bis zum Baubeginn im Jahre 1917 völlig unerschlossenes Brachland – ein Wiesen- und Waldgebiet am Rande des Industriebezirkes Lautawerk. Die Wohnkolonie wurde dementsprechend von den Brüdern Simon mit allem, was dazugehört (Straßen, Plätze, öffentliche Gebäude) auf dem Reißbrett erschaffen.

Die Gestaltung der Gartenstadtsiedlung und ihrer Bauten

Den Mittelpunkt der Anlage stellt der gärtnerisch angelegte und symmetrisch umbaute Anger mit einem breiten, dreibogigen Torhaus im Süden und der evangelischen Kirche an der nördlichen Schmalseite dar. Dem aufmerksamen Besucher wird jedoch auffallen, dass dieser Bereich keineswegs in der Mitte, sondern vielmehr am Rande der Wohnanlage zu finden ist. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass die Gesamtanlage ursprünglich wesentlich größer vorgesehen war. Alte Pläne zeigen die heutige Parkstraße quasi als Spiegelachse, deren andere Seite ebenfalls bebaut werden sollte. Die Wohnbebauung sollte sich in Richtung Laubusch bis zum Damm der Kohlebahn ausdehnen.  Allerdings sollte es nach Ende des Ersten Weltkrieges aus finanziellen Gründen dazu nicht mehr kommen.

Constantinplatz mit Blick auf den Durchgang zur Conrad-Blenkle-Straße (Foto: Kathleen Häußer-Beciri)
Constantinplatz mit Blick auf den Durchgang zur Conrad-Blenkle-Straße (Foto: K. Häußer-Beciri)

 

Beachtenswert ist auch der Bereich „Am Ring“ mit seiner Halbrundbebauung und den abführenden, radialen Straßen. Die leicht geschwungene Conrad-Blenkle-Straße stellt die mittlere Erschließungsachse in Ost-West-Richtung dar. Mehrere Tore bilden über kleine Plätze – Theunerplatz, Röntgenplatz, Constantinplatz –  Querverbindungen zur Südrandbebauung. Während sich die Wohngebäude der ehemaligen Arbeiter des Lautawerkes im Kernbereich konzentrieren, finden sich die Beamtenwohnungen an der Nord- und Weststraße. Für die unverheirateten Mitarbeiter war das Ledigenheim vorgesehen (heute das Seniorenheim); daneben wurde die katholische Kirche errichtet.

Parkstraße (Foto: K. Häußer-Beciri)
Parkstraße (Foto: K. Häußer-Beciri)

 

 

Die Architektur der Wohngebäude 

Die Wohnungen befinden sich in verschiedenen Gebäudetypen. Es handelt sich teilweise um eineinhalb- oder zweigeschossige Reihenhäuser oder aber um freistehende Doppel- und auch Mehrfamilienhäuser. Rückwärtig sind überwiegend Stallanbauten vorhanden und es schließen sich zumeist ca. 200 qm Garten an. Diese regelmäßig angelegten Gartenparzellen sind sowohl vom Haus aus als auch über einen Wirtschaftsweg zugänglich, welcher gleichzeitig zum öffentlichen Wegenetz gehört.

Überwiegend wurden 7 Gebäudegrundtypen gebaut, in denen kleine Wohnungen vorgesehen waren. Charakteristisch sind große Walm- und teilweise Satteldächer mit Gaupen und Luken. Darunter reihen sich Obergeschoß, Erdgeschoß und ein flaches Kellergeschoß. Auffallend ist die phantasievolle Variation der Dachformen sowie die wechselnde Trauf- und Giebelständigkeit der Gebäude. Die kleinteiligen Wohngebäude mit kleinen Wirtschaftstrakten orientieren sich am Gartenstadtideal als planmäßig gestaltete Siedlung mit naturnahem Wohnen. Gerade an den Beamtenhäusern finden sich besondere Gestaltungselemente wie z.B. risalitartige Vorbauten, Erker und Eingangsvorbauten. Trotz der Vielgestaltigkeit der einzelnen Bauten ist der Siedlung eine städtebauliche Geschlossenheit zu Eigen. Zu den vereinheitlichenden Elementen gehören die biberschwanzgedeckten Dächer, Sprossenfenster, Holzklappläden, gegliederte hölzerne Eingangstüren, dreiseitige Treppen und teilweise Rankgerüste. Charakteristisch sind auch breit aufgeputzte, erhabene Türeinfassungen (Faschen). Während Putzbauten in der Siedlung überwiegen, finden sich im Südosten braunbunte Ziegelrohbauten. In der gesamten Siedlung herrschen konstruktive Formen vor, aber bei genauerer Betrachtung sind auch liebevoll gestaltete Einzelheiten, wie z.B. die Feststeller der Fensterläden, auszumachen.

Im 2. Teil dieses Artikels wird es um die baulichen Eigenarten der öffentlichen Gebäude und um Lauta-Nord als Kulturdenkmal gehen. Weiterhin möchte ich auf den zeitgleich mit der Wohnsiedlung angelegten Park (Stadtpark) eingehen.

Für diesen Artikel verwendete Literatur:

Autorengruppe: Laubusch. Leben und Arbeit im Wandel der Zeit, Laubusch 2000.

Biernath, Peter: „Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord – Erhalten und Gestalten“, (=Satzung Denkmalschutz).

Art. „Ebenezer Howard“, in www.wikipedia.de (Zugriff 1.10.2016).

Art. „Gartenstadt“, in: www.wikipedia.de (Zugriff 1.10.2016).

Art. „Gartenstadt Marga“, in: www.wikipedia.de (Zugriff 1.10.2016).

Ortsgestaltungskonzeption der Stadt Lauta (1988) Stadtarchiv/Ortschronik

Kathleen Häußer-Beciri

Ein Gedanke zu “Die Gartenstadtsiedlung Lauta-Nord – Teil 1 (Kathleen Häußer-Beciri)

  1. Als „alter“ Lautawerker muß ich feststellen,daß ich noch Lücken habe. Mir war nicht bekannt,daß nur die halbe Gartenstadt errichtet wurde. Die Barackenstadt in Lauta – Süd war als Provisorium gedacht,wurde aber noch lange zu Wohnzwecken genutzt.Ich wohnte damals direkt neben diesen Baracken und war auch in einigen davon gewesen. Düstere Gänge und hellhörige Türen herschten vor. Nur wenige Baracken wurden von den Bewohnern wohnlich gestaltet, die Vorgärten waren gepflegt. Daneben gab es Baracken, wo sozial schwache Menschen lebten. Um diese Baracken war es besser einen Bogen zu machen,besonders an den Zahltagen. Später wurden einige Baracken umgebaut, z. B. zur Kinderkrippe in der Arndtstraße. Heute sind die Reste zum Teil in einem bedauernswerten Zustand. Sollte nicht eine dieser Baracken zu einem Museum umgestaltet werden? Es ist für die nach uns kommenden schwer vorstellbar wie in diesen gelebt wurde.

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