In vielen Städten und auch kleineren Orten werden Straßen nach Persönlichkeiten benannt, die entweder in diesem Ort geboren wurden oder im Verlauf ihres Lebens eine wichtige Rolle für diesen Ort spielten. Auch unsere Stadt Lauta hat eine Reihe von Straßen, deren Namen sich auf Personen beziehen, welche die Stadt auf diese Weise ehren will. Als Beispiel sei hier der „Constantinplatz“ genannt.

Der Constantinplatz ist ein Platz zwischen der Conrad-Blenkle-Straße und der Straße der Freundschaft (B96) mit den geografischen Koordinaten Breite 51°27’45.4″N und Länge 14°06’20.3″E. Es ist eine Wohnstraße mit einer Länge von 195 m. Hier stehen sich im ovalen Rund 4 Doppelhäuser gegenüber. Den Straßennamen „Constantinplatz“ gibt es außer in Lauta bei Hoyerswerda in keinem anderen Ort bzw. keiner anderen Stadt Deutschlands. Er ist somit einzigartig in Deutschland. Die Namensgebung erfolgte im Juli 1945. Aus dem früheren Bismarckplatz wurde der Constantinplatz. Zu dieser Änderung hatte sich der damalige Ort Lautawerk entschlossen, um an Friedrich (Fritz) Constantin zu erinnern, der seit Anfang der 20er Jahre mit seiner Familie in Lautawerk wohnte und 1944 im Konzentrationslager Buchenwald starb.
Wer war Friedrich Constantin, von seiner Familie Fritz genannt, und warum war und ist es wichtig, dass der Ort mit der Namensgebung einer Straße an ihn erinnern möchte?

Vor dem 1. Weltkrieg importierte das Deutsche Reich fast das gesamte benötigte Aluminium. Und bereits während des 1. Weltkrieges wurde Deutschland weitgehend von der Zufuhr wichtiger Rohstoffe abgeschnitten. Daraus entstand die dringende Notwendigkeit, innerhalb Deutschlands eigene Werke zur Aluminiumerzeugung aufzubauen. Das grundsätzliche Problem war dabei die Verwendung von Braun- bzw. Steinkohle zur Stromerzeugung. 1914 hatte die Ilse Bergbau AG mit dem Aufschluss eines Braunkohle-Tagebaus bei Laubusch begonnen und die Schwarze Elster konnte die benötigten großen Mengen Nutzwasser liefern. Bereits 1915 war ein Vertrag über die rasche Aufnahme der Aluminiumproduktion gezeichnet worden und im April 1917 begann die VAW (Vereinigte Aluminiumwerke A.G.) mit dem Aufbau des Aluminium- und Kraftwerkes am neuen Standort, der den Namen „Lautawerk“ erhält. Dieser (ein künstlicher) Name bezieht sich auf die enge Nachbarschaft zu dem Dorf Lauta. Nur wenige Kilometer von diesem entfernt wurde durch den Chefarchitekten der VAW Lautawerk als eine Gartenstadt geplant (Wohnungen für die Belegschaft, soziale Einrichtungen), die sich unmittelbar an die Werke (Aluminiumwerk und Kraftwerk) anpassen sollte.Deutschlandweit wurden für die Werke Fachleute und Arbeiter gesucht.
Fritz Constantin hatte an einer Maschinenbau-Schule in Würzburg seinen Ingenieur-Abschluss gemacht. Nach seiner Teilnahme am 1. Weltkrieg arbeitete er einige Jahre bei der technischen Firma „Fellner u. Ziegler“ in Frankfurt/Main. Bereits Anfang der 20er Jahre bewarb er sich bei der VAW und kam als Ingenieur in das „Technische Büro“ des Aluminiumwerkes. Im Zeichenbüro der VAW lernte er Wanda, seine spätere Ehefrau, kennen, die dort als Zeichnerin arbeitete. Nach der Heirat wohnten sie zunächst in Hoyerswerda.
1918 wurde zeitgleich mit dem Bau der Werke die Wohnsiedlung errichtet. Die ersten Werkswohnungen für Arbeiter und Angestellte entstanden, Villen für die Direktoren und Zweifamilienhäuser für Hauptingenieure entstanden. Familie Constantin zog Mitte der 20er Jahre in eine Doppelhaushälfte in der Pistorstraße Nr. 8. Benannt wurde die Straße nach Dr. Gustav Adolf Pistor, Chemiker und Mitglied des VAW Vorstandes. Von 1933 – 1945 hieß sie Richthofenstraße und ab Juli 1945 Nordstraße.

Ende der 20er Jahre war Fritz Constantin für einige Monate in Italien, um dort beim Bau eines Werkes mitzuhelfen. Und im Jahr 1933 wurde sein Sohn Ulrich geboren.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 verbesserte sich durch die stärkere Nachfrage nach Aluminium die wirtschaftliche Lage in Lautawerk. Vor allem für die Luftwaffe wurden Kampfflugzeuge gebraucht und dazu wiederum brauchte man große Mengen Aluminium. Etwa 1936 wurde Fritz Constantin Leiter der im Aufbau befindlichen Tonerde- und Siluminfabrik. Der 2. Weltkrieg begann und Lautawerk wurde kriegswichtig.
Fritz Constantin war für das Werk unabkömmlich und wurde deshalb vom Wehrdienst freigestellt. Er war darüber recht froh, denn er kannte den Krieg. Den 1. Weltkrieg hatte er bei einer Kraftfahrt-Kompanie erlebt und ab und zu erzählte er seinem Sohn, wie er als Nichtraucher seine Zigaretten-Ration gegen Lebensmittel getauscht hatte.
Vom Krieg wurde in Lautawerk zunächst nicht sehr viel gemerkt. Allerdings wurde es im Laufe der Zeit immer häufiger, dass nachts die Sirenen heulten. Dann mussten Constantins und die Bewohner der benachbarten Häuser in das evangelische Pfarrhaus gehen (heute Nordstraße 18). Der Keller dieses Hauses hatte eine leicht gewölbte Zwischenmauerung zwischen eisernen Längs-Doppel-T-Trägern und war somit geeignet, als Luftschutzkeller zu dienen. Etwa 6 Familien suchten dort zusammen mit Pfarrer Brandenburg Schutz. Meist gab es nach ein bis zwei Stunden wieder Entwarnung.
In den 40er Jahren brauchte die Rüstungsindustrie Aluminium vor allem für den Bau des Sturzkampffbombers Ju 87 und der Heinkel 111 (ein zweimotoriger Tiefdecker in Ganzmetallbauweise, der als Bomber eingesetzt wurde). Dazu musste in Bitterfeld ein weiteres Aluminiumwerk gebaut werden.
Dorthin wurde Fritz Constantin mit seiner Bauerfahrung für mehrere Monate abgeordnet, obwohl er kein Mitglied der NSDAP war. In dieser Zeit kam er an den Wochenenden meist per Bahn nach Hause. In einem dieser Züge soll über Fremdarbeiter gesprochen worden sein. Fremdarbeiter, das waren Zwangsumgesiedelte aus den besetzten Gebieten und Kriegsgefangene. Auch im Aluminiumwerk Lautawerk sollten während der sechs Kriegsjahre etwa 5419 Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern die Produktion sichern. Fritz Constantin beteiligte sich an diesen Gesprächen und schimpfte wohl auch über die Nazis. Er wurde bei der Gestapo angezeigt und kam eines Tages nicht mehr nach Hause.
Mit einem amtlichen Brief, geschrieben mit einer offenbar klapprigen Schreibmaschine auf kriegsbedingt minderwertigem Papier, wurde seiner Familie mitgeteilt, dass er sich in Schutzhaft im Gefängnis von Senftenberg befinde. Wenn Sprechzeit war, fuhr seine Frau hin, um ihm neue Wäsche zu bringen. Von Senftenberg aus wurde er in ein Lager bei Lebus/Meseritz (heute eine Stadt in Polen) in der Nähe von Frankfurt/Oder gebracht. Sein Sohn Ulrich weiß heute nicht mehr, ob sein Vater nach Monaten von dort direkt nach Hause entlassen wurde oder ob er zwischenzeitlich nach Lublin (Polen) weitergeschickt worden war.
Bald darauf wurde Fritz Constantin erneut verhaftet. Als ein Gestapomann seiner Frau diese Nachricht überbrachte, sagte dieser „Er kann seinen gottlosen Mund nicht halten.“. Diese Äußerung war für seinen kleinen Sohn Ulrich völlig unverständlich. Sein Vater war doch ein gläubiger Christ, der sonntags regelmäßig in die Kirche ging und der nichts so sehr schätzte wie Recht und Wahrheit. Denn was Unrecht war, hatte Fritz Constantin im 1. Weltkrieg selbst erlebt.
Noch einmal kam Fritz Constantin nach Hause. Er hatte einen schlimmen Hautausschlag. Dr. Ekke, damals Arzt in Lautawerk behandelte ihn und schrieb immer wieder Gutachten des Inhalts, dass Herr Constantin nicht transport- und lagerfähig sei. Dr. Ekke wurde 1944 getötet, als das Krankenhaus am Südtor bombardiert wurde.
Obwohl Fritz Constantin nicht ausgeheilt war, wurde er wieder verhaftet. Diesmal kam er in das Konzentrationslager Buchenwald. Seine Frau Wanda war sehr betroffen. Seinem Sohn Ulrich allerdings, der damals 10 Jahre alt war, gefiel dieser Name, denn er klang so harmlos. Erst sehr viel später, nach Kriegsende, begriffen er und viele andere, welche Abscheulichkeiten sich hinter dieser Bezeichnung wirklich verborgen hatten.
Von Zeit zu Zeit kamen Briefe, geschrieben auf vorgedruckten Zeilen, die weit auseinander standen. „Das ist wegen der Zensur“. Briefmarken trugen diese Mitteilungen nicht, nur einen Stempel mit SS-Runen. Einen Satz aus einem dieser seltenen Briefen hat sein Sohn im Gedächtnis behalten „Mit Ulrichs Umschulung zur Mittelschule bin ich einverstanden, bin ich einverstanden.“, denn seine Mutter war verwundert darüber, dass ihr Mann, der immer so korrekt war, etwas doppelt geschrieben hatte.
Manche Freunde von Fritz Constantin und seiner Familie schrieben Gnadengesuche, obwohl sie damit viel riskierten. Einer der Freunde war Bruno Weinberg. Bruno Weinberg war Jude. Als Weltkriegsteilnehmer wurde er nicht deportiert. Dazu kam, dass er wahrscheinlich auch als Fachmann gebraucht wurde. Er war Architekt und Leiter des Bau- und Konstruktionsbüros beim Aufbau des Lautawerkes gewesen, in dem auch Wanda Constantin früher gearbeitet hatte. Er starb nach dem Krieg. Auch ein anderer Freund, ein Zimmermann namens Schäfrich, setzte sich für Fritz Constantin ein und half auch während dessen Haftzeiten seiner Frau bei handwerklichen Arbeiten.
Ende Juli 1944 kam ein amtlicher Brief aus Buchenwald. „Ihr Mann ist verstorben, Phlegmone am rechten Oberarm, trotz unserer medizinischen Bemühungen. Er wurde bereits eingeäschert. Die Urne können Sie sich abholen.“ (Phlegmone ist eine eitrige, bei Nichtbehandlung sich schnell ausbreitende Infektionserkrankung der Haut. Es besteht immer Lebensgefahr durch eine Blutvergiftung.)
Die Urne wurde Frau Constantin ausgehändigt und in Leisnig beigesetzt. In diesem Ort gab es eine Grabstelle der Familie ihrer Mutter. Die Großmutter von Ulrich Constantin lebte während des Krieges mit in Lautawerk, wurde aber wegen der Gefahr durch Luftangriffe zu ihrer Tochter nach Leisnig gebracht. Als diese in den 70er Jahren verstarb, überführte Ulrich Constantin die Urne nach Lauta und so fand Fritz Constantin seine letzte Ruhe im Grab seiner Ehefrau Wanda.
Nach Kriegsende gelang es Wanda Constantin, dass für sie und ihren Sohn der Status „Widerstandskämpfer gegen den Faschismus“ anerkannt wurde. Dies war nicht einfach, denn Fritz Constantin und seine Familie waren nie kommunistisch gewesen, sondern eine christliche Familie.
Sie lebte mit ihrem Sohn bis in die 60er Jahre weiter in ihrer Doppelhaushälfte, Nordstraße 8.
Der Ort Lautawerk und auch das Aluminiumwerk, seit 1949 VEB Aluminiumwerk „Albert Zimmermann“ ehrten Fritz Constantin. Der Ort, indem er einen Platz umbenannte in „Constantinplatz“ und das Aluminiumwerk, indem ein Gebäude des Werkes „Constantinhaus“ benannt wurde. Es war ein Gebäude, in dessen Obergeschoß Büros untergebracht waren. Im Erdgeschoß war ein Labor (in diesem hat die Schwiegertochter von Fritz Constantin selbst noch gearbeitet). Später zog das Labor in ein eigenes Gebäude und die ehemaligen Labor-Räume wurden ebenfalls als Büros genutzt.

Auch wenn das Werk mit dem Conatantinhaus heute nicht mehr existiert, den Constantinplatz in Lauta gibt es weiterhin. Es ist wichtig, nicht nur für die Bewohner dieses Platzes, sondern für alle Einwohner, zu wissen, dass in unserer Stadt ein Mann gelebt hat, der in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand geleistet hat. Dies nicht wie Claus Graf von Stauffenberg als Offizier im Oberkommando des Heeres oder Arthur Theuner als Kommunist im Aluminiumwerk, sondern als Christ, der Unrecht nicht mit seinem Glauben, seinem Gewissen und seiner Überzeugung vereinbaren konnte.
Für mich als Autorin dieses Artikels war es ein Bedürfnis, über Fritz Constantin und seine Familie zu schreiben. Mitte der 50er Jahre zogen meine Eltern in die andere Doppelhaushälfte, Nordstraße 6. Sie freundeten sich schnell mit Wanda und Ulrich Constantin an. Wanda Constantin war für mich „Tante Wanda“, die auf mich aufpasste, wenn meine Eltern einmal nicht zu Hause waren.
Und heute ist meine Familie sehr froh, dass wir nach so vielen Jahren immer noch so eine freundschaftliche Beziehung zu Ulrich Constantin und seiner Familie haben, deren christliche Lebenseinstellung und –weise wir sehr schätzen.
Dr. Gabriele Schluttig
Der Artikel Friedrich (Fritz) Constantin aus Lauta (Dr. Gabriele Schluttig)
war für mich von Interesse, bin ich doch täglich im Aluminiumwerk Lauta am Constantinhaus vorbeigegangen, hier befand sich das Konstruktionsbüro. Damals konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen, weshalb das Gebäude so hieß. Der Schriftzug am Constantinhaus fiel auf, weil alle Gebäude des Aluminiumwerkes nummeriert waren und keine zusätzliche Bezeichnung aufwiesen.
Ich fragte ältere Mitarbeiter des Werkes, wieso das Gebäude einen besonderen Namen trug, es konnte mir niemand erklären. Die Antworten waren einhellig, das Gebäude hätte schon immer so geheißen.
Nach dem Artikel war die Bedeutung des Namens erklärt, aber wie es dazu kam nicht.
Auch im Werk von Werner Pastor „ Namenlose Helden gab es nicht“, Herausgeber Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Cottbus der SED, wurde nichts dazu gesagt.
In den beiden Heften über Widerstandskämpfer im damaligen Bezirk Cottbus taucht der Name von Friedrich Constantin nicht auf. Er wurde also nicht als Widerstandskämpfer geführt, weshalb also dann die Namensgebung?
Er war sicher auch kein Widerstandskämpfer, eigentlich nur ein Unbequemer, der sagte, was er dachte, ohne bewußt an die Folgen zu denken. Dazu ein Zitat aus dem Beitrag von Dr. Schluttig:“ Als ein Gestapomann seiner Frau diese Nachricht überbrachte, ( erneute Verhaftung ) sagte dieser „Er kann seinen gottlosen Mund nicht halten.“
Die Umbenennung des Bismarkplatzes in Constantinplatz und der des Gebäudes im VAW- Betrieb paßt doch gar nicht in die Zeit nach 1945. Nach dem Einmarsch der Russen in Lauta, galten Kommunisten und solche, die es schon immer gewesen waren, als gute Deutsche.
Wer war der Initiator und was war der Anlaß für die Namensgebung, weshalb wurde er auch später nicht umbenannt?
Hatte eventuell Herr Weinberg dafür gesorgt, daß das Konstruktionsbüro den Namen von Fritz Constantin erhielt?
Es wäre jedenfalls interessant, darüber mehr erfahren zu können!
Sollte nicht auch eine Tafel am Constantinplatz angebracht werden, um auf den Ursprung des Namens hinzuweisen?
Das Geld dafür wäre sicher aufbringbar, und gut angelegt!
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